16. März 2023

Wie Unternehmen ihre Topleute finden.
Peter Roos im Interview mit DER SPIEGEL

Wie Unternehmen ihre Topleute finden. Peter Roos im Interview mit DER SPIEGEL

Verquere Klischeevorstellungen und Stereotypen prägen heutzutage leider immer noch das Bild einer vermeintlich erfolgreichen Führungskraft. Das ist auch eine oft unterschätzte Grundproblematik bei der Rekrutierung von Managementnachwuchs. Darüber und wie Unternehmen künftig ihre Führungskräfte finden hat Peter Roos kürzlich in einem Interview mit DER SPIEGEL in Kooperation mit manager magazin gesprochen.
Hier geht es zum vollständigen Interview:

SPIEGEL: Herr Roos, was macht eine gute Führungskraft aus?

Roos: Vor allem, dass sie vorangeht. Das klingt lapidar, ist es aber nicht. Man muss führen wollen, Einfluss nehmen wollen, Dinge verändern wollen. Führung findet dort statt, wo Menschen Verantwortung für andere übernehmen.

Diesen Weg auch mit Mühen und gegen Widerstände zu gehen und darin für sich selbst Erfüllung und Sinn zu finden, zeichnet eine Führungskraft aus.

SPIEGEL: Was ist in Ihren Augen für eine Führungskraft wichtig?

Roos: Klassische Karriereeigenschaften wie Fleiß, Wille, Intelligenz. Eine hohe Fachkompetenz. Dazu Entscheidungsfreude, Stil, eine exzellente Rhetorik und Begeisterungsfähigkeit. Mit einem Aber: Diese Attribute sind zwar wichtig, werden in Zukunft jedoch an Bedeutung für eine erfolgreiche C-Level-Karriere verlieren.

SPIEGEL: Was wird dann wichtiger?

Roos: Die Offenheit gegenüber Mitmenschen. Manche Führungskräfte bringen fachlich alles mit – aber scheitern am Sozialen. Achtsamkeit, Empathie, Zugewandtheit, all das ist essenziell. Wir hatten anstrengende Coronajahre, haben Krieg in Europa, die wirtschaftliche Lage ist prekär, da kommt es vor allem darauf an, menschlich zu führen. Die Neunzigerjahre haben einen sehr nüchternen, zielgetriebenen und zahlenorientierten Managertypus hervorgebracht, der aufweichen wird. Die Tendenz dazu zeigt sich seit etwa zehn Jahren.

Künftige Führungskräfte brauchen die Fähigkeit, Stärken, Konflikte, Energien und die Zusammengehörigkeit sich permanent verändernder Teams zu lenken.

Dazu gehört auch, persönliche Qualitäten und die Stärken anderer realistisch reflektieren und einschätzen zu können – und zwar auf wertschätzender und vertrauensvoller Basis.

Den dritten Punkt sehe ich in der Fähigkeit, sich in Krisen pudelwohl zu fühlen, auch dann agil zu sein. Krisen und Ungewissheit sollte man im Führungsalltag nicht nur gut aushalten können, sondern man sollte sie auch dazu nutzen, um die eigene Karriere voranzubringen – damit das klappt, muss man vorbereitet, sein. Zu jeder Zeit. Deshalb ist resilientes Verhalten eine entscheidende Schlüsselkompetenz für den Karriereerfolg.

SPIEGEL: Und wie findet man als Unternehmen diese Leute?

Roos: Nicht über die klassische Stellenausschreibung. Kreativität und neue Einflüsse bekomme ich in mein Unternehmen, wenn ich früh auf junge, spannende Menschen zugehe. Talente muss man dort erreichen, wo sie sind – etwa an Hochschulen. Als Unternehmen ist es klug, daran anzudocken – man kann sich auch als Führungskraft selbst einbringen, etwa als Mentor oder Coach für Studierende. Gerade unternehmerisches Denken kommt an Unis häufig zu kurz. Hier können Führungskräfte meiner Generation in die Bresche springen und zugleich Beziehungen für den Recruiting-Prozess aufbauen. Wichtiger Kontaktpunkt für die Rekrutierung junger Talente können auch die zahlreichen Start-ups sein, die jährlich im Umfeld der Universitätsstädte als direkte akademische Spin-offs neu entstehen.

SPIEGEL: Wie sieht in solch einem Rahmen ein gelungener Recruiting-Prozess aus?

Roos: Wer junge Talente für sein Unternehmen gewinnen möchte, sollte sich erst einmal ausreichend Zeit nehmen, um mit ihnen gemeinsam innere Triebfedern, Wertevorstellungen und Karrieremotive auszuloten. Oft spielt auch Aufklärungsarbeit eine wichtige Rolle. Die Generationen Y und Z sind zwar prädestiniert, um C-Level zu werden, oft aber verstellen ihnen althergebrachte Rollenbilder den Blick. Das Dilemma: Gute und talentierte Menschen lassen sich aufgrund von so geschürten Ressentiments und Klischeevorstellungen davon abhalten, eine Spitzenkarriere in Angriff zu nehmen. Sie finden sich in den stereotypen Management-Vorbildern nicht wieder, überschätzen dennoch deren Wirkungskraft und ziehen falsche Rückschlüsse auf ihre eigenen, tendenziell unterschätzten Fähigkeiten und Möglichkeiten.

Tatsächlich aber fußt der Erfolg in der neuen Arbeitswelt ganz wesentlich auf Empathie und Zugewandtheit – auf der Fähigkeit zu Innovation, Transformation und Adaption. All diese Dinge können diese Generationen deutlich besser bespielen als es meine kann. Und das ist auch dringend erforderlich.

Wo sonst, wenn nicht in der Topriege eines Unternehmens, könnte es besser möglich sein, »Purpose« und »Impact« zu vereinen. Es gibt kaum eine Betätigung oder eine Position, wo berufliche Karriere, persönliches Wachstum und gesellschaftliche und ökologische Verantwortung mehr ineinanderfließen als im C-Level. Unternehmen, denen es gelingt, jungen Talenten diese Sichtweise im Rahmen des Recruiting-Prozesses zu vermitteln, werden es leichter haben, diese für sich zu gewinnen.

Steckt man im konkreten Rekrutierungsprozess, sollte man nicht nur auf Abschlüsse und Hochschulnoten schauen. Das persönliche Gespräch ist durch nichts zu ersetzen. Es ist die Grundlage der 360-Grad-Betrachtung, die es braucht, um geeignete Kandidatinnen und Kandidaten zu sichten.

Wesentlich in solch einem persönlichen Austausch ist auch, herauszubekommen, wie wichtig Bewerbenden die persönliche Weiterentwicklung ist. Wer eine doppelte Karrierereise anstrebt, also den Wandel in den Unternehmen mit der eigenen, inneren Transformation verbinden möchte, bringt eine wichtige Voraussetzung mit, um Führungskraft zu werden. Lebenslanges Lernen, Persönlichkeitsentwicklung und das tägliche Arbeiten daran sind wesentlich – und entscheidend, damit sich Unternehmen beständig nach vorne entwickeln.

DER SPIEGEL – Aufgezeichnet von Helene Endres und Florian Gontek, 04.03.2023


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